Als Gottfried Sehmsdorf Anfang der 1980er Jahre als Pfarrer nach Landsberg kommt, ahnt wohl noch niemand, und am allerwenigsten er selbst, wie sehr ihn dieser Ort und seine Historie prägen werden und wie umgekehrt Gottfried Sehmsdorf mit seinen heimatgeschichtlichen Forschungen die örtliche und regionale Geschichtsbetrachtung prägen wird.
Gottfried Sehmsdorf wird am 20. Dezember 1943 in Soldin, bei Landsberg an der Warthe, geboren. Seine Kindheit verbringt er in einem alten Pfarrhaus an der Stadtmauer der märkischen Kleinstadt Dahme. Von klein auf faszinieren ihn die Mauern, Türme und Tore der Stadt. Sein weiterer Lebensweg führt Gottfried Sehmsdorf im Jahre 1953 in die alte preußische Residenzstadt Potsdam, wo sein jugendlicher Blick für Baustile und Kunstepochen geschult wird. Im Schatten der Türme des Naumburger Domes absolviert er von 1965 bis 1970 sein Theologiestudium und verbringt so manche Stunde in stiller Andacht im spärlich beleuchteten Westchor des Domes, zu Füßen der berühmten Stifterfiguren. 1965 zieht Gottfried Sehmsdorf in das kleine Städtchen Schkölen bei Naumburg, welches sich seinen mittelalterlichen Charme bewahren konnte, und findet seine erste eigene Wohnung in Klostermauern. Nicht zuletzt die Lektüre der Ortschronik weckt Sehmsdorfs Interesse an eigenen heimatgeschichtlichen Forschungen. Aus anfänglicher Neugier entwickelt sich mehr und mehr eine eigene Forschungsmethode: Quellen und Topografie eines Ortes in Einklang zu bringen. In den Jahren 1972 bis 1981 bekleidet Gottfried Sehmsdorf das Amt des Pfarrers in Droysig. Auch dort beginnt er von Anfang an, sich Fragen zu stellen, Quellen zu studieren, Örtlichkeiten zu erkunden, Zusammenhänge zwischen Reichs- und Territorialgeschichte, Rechts- und Kunstgeschichte aufzudecken.
Der Zufall führt Gottfried Sehmsdorf 1981 als Pfarrer nach Landsberg bei Halle. Hier scheinen alle historischen Fragen zur prächtigen Doppelkapelle geklärt. Dennoch ist der Neuankömmling überrascht, von Landsberger Markgrafen zu hören. Wieder ist Sehmsdorfs Forscherdrang geweckt und er begibt sich auf Spurensuche. Sollte diese herrliche Doppelkapelle, die den kaiserlichen Kapellen in Nürnberg und Eger in nichts nachsteht, tatsächlich von einem zweitrangigen Markgrafen aus dem Hause Wettin als Kapelle seiner Residenzburg errichtet worden sein oder steckte mehr dahinter? Zeugt der prachtvolle doppelgeschossige Sakralbau nicht davon, daß hier in Landsberg Ortsgeschichte zugleich Territorialgeschichte und letztlich Reichsgeschichte des Mittelalters ist? Als Landsberger Pfarrer führt Gottfried Sehmsdorf im Laufe der Jahre zahllose Besucher durch die Doppelkapelle. Die Gespräche mit den Kapellenbesuchern bringen ihm neue Anregungen und lassen seine Erkenntnisse weiter reifen. Im Jahre 1985 entwickelt und fertigt Gottfried Sehmsdorf ein Burgmodell der Burg Landsberg, welches vom Museumsmitarbeiter Gunter George farbig gestaltet und mit Zinnfiguren von Dr. Neumeister aus Halle ergänzt wird.
Das beeindruckende Modell, welches noch heute im Dachgeschoss der Landsberger Doppelkapelle zu sehen ist, gibt eine gute Vorstellung von der einstigen Größe und Bedeutung der Burg Landsberg und ihrer Doppelkapelle.
Gottfried Sehmsdorf kann in seinen Forschungen zur Landsberger Geschichte auf Arbeiten zurückgreifen, die seit dem 19. Jahrhundert rund um die Landsberger Doppelkapelle erschienen sind. Nicht zuletzt liefern die Schriften des Arztes und Heimatforschers Dr. Rolf Kutscher (1935-1975) ihm eine wertvolle Grundlage für eigene Überlegungen. Unterstützung und Fürsprache findet Gottfried Sehmsdorf darüber hinaus auch beim Landsberger Apotheker und ehrenamtlichen Museumsleiter Heinz-Walther Borgass. Der Blick für das Bauwerk, die Topografie des Berges, die Ortslage, verbunden mit den Quellen und historischen Vergleichen, sind es jedoch, die ihn von alten Lehrmeinungen entfernen und zu neuen Erkenntnissen führen. Die Doppelkapelle Landsberg ist Zeuge einer weit bedeutenderen Geschichte, als die Kunsthistoriker des 19. Jahrhunderts es zu träumen wagten. Sie war die Burgkapelle einer Reichsburg.
Was im Jahre 1981 beginnt und 1989 mit der Drucklegung der vorläufigen Ergebnisse in der Broschüre "Die Doppelkapelle auf der Burg Landsberg", unter Mitarbeit von Gunter George, fortgesetzt wird, bleibt Forschungsgegenstand für Gottfried Sehmsdorf. Im Jahre 1993 gibt der Deutsche Kunstverlag Gottfried Sehmsdorfs "Die Doppelkapelle in Landsberg" heraus. Der kleine Kapellenführer im A6-Format erfährt im Jahre 2004 eine aktualisierte Nachauflage.
Neue Ergebnisse der Geschichtsforschung wecken in Gottfried Sehmsdorf bald den altbekannten Forscherdrang. Die Übersetzung der "Chronik vom Petersberg" durch Prof. Wolfgang Kirsch, die umfangreiche Quellenanalyse von Dr. Stefan Pätzold, die er 1997 in seinem Buch "Die frühen Wettiner" publizierte oder neuere Forschungen zum Sachsenspiegel liefern ihm frische Anregungen für weitere Recherchen zu Landsberg. Die Arbeit mit den hervorragend aufbereiteten Quellen vertieft sein über lange Jahre geschultes Verständnis der mittelalterlichen Geschichte und rückt bisher unberücksichtigte Aspekte in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Neue, überraschende Zusammenhänge erschliessen sich ihm und wecken mehr und mehr das Bedürfnis die so gewonnenen Erkenntnisse zu veröffentlichen. Im Saalkreisjahrbuch 2006 erscheint Gottfried Sehmsdorfs Artikel: "Die Zerstörung der Stadt und Burg Landsberg", mit umfangreichen Quellenangaben zu den tatsächlichen Ereignissen.
Gemeinsam mit der Brehnaer Historikerin Frau Dr. Katja Münchow gelingt es Gottfried Sehmsdorf, der im Sommer 2007 schwer erkrankt, unter großen persönlichen Anstrengungen eine weitere Publikation zur Geschichte Landsbergs herauszugeben. Im Dingsda-Verlag erscheint pünktlich zum Tag des offenen Denkmals 2008 das Buch "Ekkehard II., Markgraf von Landsberg" mit dem Untertitel "Der Aufstieg der Wettiner- eine Geschichte von Schuld und Sühne". In dieser gut recherchierten Publikation, mit umfassenden Quellenangaben und genealogischen Tabellen, finden sich neben neuen Erkenntnissen zur Geschichte von Burg und Stadt Landsberg, überraschende Deutungen zu den Stifterfiguren des Naumburger Doms. Bei der Lektüre des Sachbuches fühlt man sich unweigerlich an den jungen Theologiestudenten erinnert, der einst so manche Stunde im spärlichen Licht des Westchores des Naumburger Domes verbrachte und aufsah zu den in Sandstein gehauenen Vertretern der Familien der Ekkehardiner und Wettiner. In seinem Vorwort aus dem Jahre 2008 schreibt Gottfried Sehmsdorf: "Das Thema hat mich nicht losgelassen. Noch immer treiben mich die Rätsel um, die sich hinter den doch so realen und scheinbar für jedermann offenbaren Mauern der Landsberger Doppelkapelle verbergen."
Gottfried Sehmsdorf hat am 29. Dezember 2011, im Alter von 68 Jahren, den Kampf gegen eine tückische Krankheit verloren. Sein Vermächtnis aber bleibt und unsere Verantwortung, dieses Vermächtnis in Ehren zu halten, damit die wechselvolle Geschichte Landsbergs in den Köpfen und Herzen der Landsberger weiterlebt und von Generation zu Generation weitergetragen wird. Ebenso wie die Erkenntnis, dass Geschichte nichts Endgültiges bedeutet, sondern immer Raum für Fragen, Zweifel, Deutungen aber auch Antworten lässt und dass die Beschäftigung mit dieser Geschichte Allgemeingut ist. Deshalb verdient jeder, der sich über ernsthaftes Quellenstudium mit der Geschichte seiner Heimatregion befasst und dabei zu neuen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen gelangt unseren Respekt und unsere Unterstützung.
Quellen: