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Sommerschnee

Berndt Seite

Hardcover, 124 S., 2020 erscheint demnächst; Bereits vorbestellbar

ISBN: 978-3-86397-134-2
Preis: 15,00 €

Sommerschnee – das sind die luftig-bauschigen Samenfasern der Pappelfrüchte, die sich im Sommer öffnen und die Welt mit ihrem weißen Flaum überziehen: Schnee in der wärmsten Jahreszeit. Mal melancholisch, mal mandelbitter, aber stets in größter Genauigkeit geht Berndt Seite auch in seinem neuen Lyrikband den Erscheinungsformen der Natur nach und lotet in ihnen die Bedingungen des Lebens aus.

Dreimal mit der Schubkarre nach Paris

Dreimal mit der Schubkarre nach Paris

Bodo Schwarzberg

In einem modernen Straßenatlas wird die Entfernung Leipzig - Paris mit 984 Kilometern angegeben. Wollte man diese Strecke jedoch zu Fuß zurücklegen und nähme man für dieses Unterfangen eine Tagesleistung von 25 Kilometern an, so benötigte der rüstige Wandersmann ungefähr 39 Tage bis zur Stadt an der Seine. Und nun stellen Sie sich vor, jemand hat diese Strecke tatsächlich per pedes zurückgelegt, jedoch nicht mit einem Rucksack auf dem Rücken, auch nicht mit einem den Transport erleichternden Handwagen, sondern mit einer Schubkarre. Und er tat dies nicht heute, son­dern vor mehr als 200 Jahren, im Jahre 1789. Unsere Baumarktschubkarren sind leicht, mit ergonomisch geformten Handgriffen und leicht laufenden, luft­gefüllten Rädern. Im Jahre 1789 waren sie Dutzende Kilogramm schwer, wohl auch mit massiven, nicht immer ganz rund laufenden und insgesamt schwer­gängigen Rädern.

Christian Richter aus Gollma fuhr im genannten, historisch unvergessenen Jahr mit einer Schubkarre nach Paris und das insgesamt dreimal! Rund 1000 Kilometer hin und rund 1000 Kilometer wieder zurück. Er hatte das Gefährt bepackt mit seinem Sonntagsanzug, Faden, Nadel, ledernem Schuhwerk, einem Zylinder. Im linken Fach der zweiteiligen Ladefläche ruhte die Wegzehrung. Und dies waren sicher keine leichten Energie- und Müsliriegel, sondern das beste was es damals gab - Räucherschinken und Räucherwurst.

 

Der Abenteurer war Zimmermann und handelte zugleich mit Heu und Stroh. Im Gollma des ausgehenden 18. Jahrhunderts jedoch waren die Heupreise auf einem Tiefststand angelangt. An der Pariser Börse wollte der misstrauische Geschäftsmann die international üblichen Preise für sein Produkt erfahren, um zukünftig vielleicht mehr Einnahmen aus dem Futtermittelverkauf zu erzielen.

Und da es ja weder Telefon oder Internet noch Rundfunksendungen mit Börsenberichten gab, da Briefe oft monatelang unterwegs waren, oder gar verschwanden; Christian Richter wollte das Informationsproblem in die eige­nen Hände nehmen.

An einem Junitag des Jahres 1789 hatte er seine Schubkarre aus dem Schuppen geholt, die Radachse kräftig geschmiert, und sich von seiner Frau, seinen Kindern und den reichlich erschienenen Nachbarn verabschiedet. Mit der Schubkarre, einem Tragegurt zur besseren Gewichtsverteilung um den Hals und einer von seinen Kindern geflochtenen Girlande schritt er durch das Hoftor und entschwand schon bald den vielen neugierigen, ja ungläubigen Blicken in Richtung Zörbig.

Christian Richter quälte sich unendlich durch Hitze, Regen, Zollschranken und über unebene Wege, geriet in Frankreich in die Kämpfe der Französischen bürgerlichen Revolution und kehrte dreimal wohlbehalten nach Gollma zurück. Die brennenden Schlösser und Burgen und das Chaos beeindruckten ihn und er schrieb in sein Tagebuch: „...dass man hier nicht wie dort aufgeräumet." Möglicherweise hatte er diesen Satz aber auch politisch gemeint, denn im Vergleich zum Frankreich nach der Revolution sollte Deutschland noch weitere 60 Jahre im Tiefschlaf der Kleinstaaterei verharren.

In der Mediengesellschaft von heute wäre Christian Richter gewiss ein heißer Kandidat für einen Eintrag in das Guinessbuch. Damals jedoch unternahm der Kaufmann die Touren gewiss aus existentieller Not. Sonst hätte er die unend­lichen Beschwerlichkeiten gewiss nicht auf sich genommen. Und ist Paris für unsere heutigen Begriffe immer noch weit entfernt: Für damalige Vorstellungen war eine Reise über derartige Entfernungen einfach nicht fass­bar.

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Nach einem Text von Erich Ballmann (1961), Erschienen auch in: „Sagenhaftes aus der Stadt Landsberg im Saalkreis und der näheren Umgebung" von Hans Joachim Schramm und Bodo Schwarzberg aus der Reihe „Sagenhafte Heimat" des Verlages Bodo Schwarzberg (Halle)

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